Die Kündigung in der Probezeit und das Maßregelungsverbot nach § 612 a BGB

Das Gesetz statuiert in § 612a BGB das Verbot der Maßreglung des Arbeitnehmers durch seinen Arbeitgeber, soweit der Arbeitnehmer sein Recht in zulässiger Weise ausübt. So kann der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer nicht kündigen, nachdem dieser seine Arbeitskraft zu Recht wegen erheblicher Lohnrückstände zurückhält oder sich weigert, arbeitsvertraglich nicht geschuldete Mehrarbeit zu erbringen.

Das Maßregelverbot findet auch bei einer Kündigung innerhalb der Probezeit Anwendung. Allerdings ist insbesondere hier die Anwendung problematisch. Immerhin bedarf eine Probezeitkündigung (§ 622 Abs. 3 BGB) keiner Begründung.

Das LAG Rheinland-Pfalz in Mainz hat sich in seinem Urteil vom 08.11.2016 – 8 Sa 152/16 mit einem solchen Fall auseinander gesetzt.

Der Kläger, ein alleinerziehender Vater, war als Kurierfahrer beim Beklagten angestellt. Gegen Ende seiner Probezeit teilt er dem beklagten Arbeitgeber aus seinem Urlaub heraus mit, dass sein damals 4-jähriger Sohn operiert werden würde und er daher noch etwas mehr Urlaub benötige. Der Arbeitgeber gewährte dies per Kurzmitteilung. Nach der OP wurde der Sohn über das Ende des gewährten Urlaubs hinaus krank geschrieben. Die Ärzte attestierten die Notwendigkeit einer Betreuung und Beaufsichtigung durch den Vater. Dieser übermittelte dieses Attest (Kindkrankschreibung) dem Arbeitgeber per Fax. Noch am gleichen Tag übergab der Arbeitgeber dem Kläger persönlich die arbeitsbedingte Kündigung.

In der ersten Instanz trug der Arbeitgeber vor, er habe dem Kläger bereits zu dessen Urlaubsbeginn kündigen wollen. Hierzu verwies er auf Gespräche mit einem Mitarbeiter von welchem er von der der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen erfuhr, weshalb er auf die Kündigung verzichtete.

Während die erste Instanz dem angeblichen Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht für glaubwürdig hielt und der Kündigungsschutzklage statt gab, entschied das LAG im Rahmen der Berufung anders.

Nachdem das LAG in seinem Berufungsurteil zunächst Ausführungen zur Beweislast trifft und formuliert:

Für das Vorliegen einer Maßregelung i. S. v. § 612a BGB trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. In Betracht kommt diesbezüglich jedoch eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und der Rechtsausübung besteht. Dies gilt etwa dann, wenn insoweit ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben ist (vgl. ErfK/Preis, 17. Aufl., § 612a BGB Rz. 22 m.w.N.). Den Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber sodann seinerseits durch substantiierten Vortrag erschüttern mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer den Vollbeweis führen muss.

stellt es überraschenderweise sodann nicht in erster Linie darauf ab, ob bewiesen wurde, dass tatsächlich ein Kündigungsentschluss bereits vor der Mitteilung der Kindkrankschreibung vorlag. Vielmehr sieht es im konkreten Fall den Anwendungsbereich von § 612a BGB als nicht eröffnet an. Das Gericht argumentiert, mit dem Übersenden des Attests aus dem ein Krankengeldanspruch bei Erkrankung des Kindes folgt, liegt keine Rechtsausübung vor. Wörtlich heißt es im Urteil:

Nach dem klaren Gesetzeswortlaut greift der Schutz des § 612 a BGB nur dann ein, wenn das geltend gemachte Recht tatsächlich besteht und in zulässiger Weise ausgeübt wird. Die bloße Mitteilung der bestehenden Erkrankung des Kindes und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Betreuung stellt keine Rechtsausübung dar.

Damit, so das Gericht, kann bereits aus diesem Grund in der Kündigung keine Maßreglung im Sinne von § 612 a BGB vorliegen.

Zur Absicherung dieser Entscheidung greift das Gericht weiteren Sachvortrag aus der Berufungsbegründung auf und kommt im Rahmen der rechtlichen Würdigung zum Ergebnis, dass selbst wenn der Anwendungsbereich des § 612 a BGB eröffnet wäre, die Kündigung nicht als ein Verstoß gegen das Maßregelverbot zu werten ist.

Kommentar:

Im Ergebnis kann der Entscheidung des Gerichts zugestimmt werden. Soweit aus den Gründen ersichtlich, gab es einige gute Anhaltspunkte, die dafür sprachen, dass der Kündigungsentschluss bereits vor Einreichung des Attests durch den Arbeitnehmer bestand. Auch sprechen die anderen Gründe (zB unrichtiges Verhalten des Klägers im Straßenverkehr und Nutzen des Unternehmensfahrzeuges für Privatfahrten) die in der Berufung vorgetragen wurden, dafür, dass zwischen dem Einreichen der Kindkrankschreibung und der Kündigung kein Zusammenhang bestand.

Zu kritisieren ist jedoch die Argumentation des Gerichts in der Mitteilung der Kindkrankschreibung läge keine Rechtsausübung und daher sei der Anwendungsbereich nicht eröffnet. Das Gericht vertauscht hier die Rechtsfolge, die aus einem Anspruch folgt, mit dessen Wahrnehmung.

Richtig ist, dass aus § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB V ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber folgt. Richtig ist auch, dass aus diesem Anspruch das Recht folgt, eigenmächtig von der Arbeit fernzubleiben, wenn der Arbeitgeber eine Freistellung verweigert. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, ob er diesen Anspruch wahrnimmt oder nicht. Jedenfalls mit der Einreichung der Kindkrankschreibung hat der Arbeitnehmer sich gegenüber dem Arbeitsnehmer entschieden, sein Recht aus § 45 SGB V geltend zu machen. Damit liegt – um es mit den Worten das LAG Rheinland-Pfalz zu sagen – nach dem klaren Gesetzeswortlaut eine zulässige Rechtsausübung und keine bloße Rechtsfolgenmitteilung vor.

Praxishinweis:

Die Entscheidung verdeutlicht an einem anschaulichen Fall, dass der Arbeitgeber einen Kündigungsentschluss – gerade auch in der Probezeit – gut dokumentieren sollte, wenn er nicht gleich im Anschluss an den Entschluss die Kündigung ausspricht. Andernfalls besteht das Risiko, dass überholende Ereignisse der späteren Kündigung dem Anschein einer Maßregelung verleihen. Das macht einen Kündigungsprozess dann schnell zu einer Schifffahrt auf rauer See ohne Rettungsboot.

Gleichzeitig ist Vorsicht bei der Annahme geboten, in der Mitteilung der Kindkrankschreibung könne keine Rechtsausübung im Sinne des § 612 a BGB liegen. Denn die Argumentation des LAG Rheinland-Pfalz ist hier rechtlich nicht schlüssig.