Außenhaftung des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung

Auch wenn vielfach die Insolvenz mit dem Ende eines Unternehmens gleichgesetzt wird, kann sie doch auch einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise bedeuten. So verstanden kann die Insolvenz ein echtes Sanierungswerkzeug sein. Besonders geeignet hierfür ist die Eigenverwaltung nach § 270 InsO. Bei dieser wird der Geschäftsbetrieb trotz Insolvenz fortgeführt. Das insolvente Unternehmen bleibt eigenständig berechtigt, die Insolvenzmasse zu verwalten. Es wird (lediglich) durch einen Sachwalter beaufsichtigt.

In der Praxis bleibt das alte Management regelmäßig im Unternehmen erhalten. Häufig wird noch ein externer Sanierungsexperte hinzugezogen. Bei Kapitalgesellschaften spielt sich dies auf der Ebene der Geschäftsführer ab. Aber wie haftet der Geschäftsführer in der Phase der Eigenverwaltung?

Hierzu ein kleiner Ausflug in die Geschäftsführerhaftung außerhalb der Eigenverwaltung:

Vor der Insolvenz haftet ein GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber, §§ 43, 64 GmbHG. Eine Haftung gegenüber Dritten (sog. Außenhaftung) ist nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa bei deliktischem Handeln, möglich.

Wie der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 26.04.2018 – IX ZR 238/17 entschieden hat, erweitert sich der Haftungsrahmen für Geschäftsführer in der Eigenverwaltung. Mit dem Urteil wurde höchstrichterlich entschieden, dass der Geschäftsführer in der Eigenverwaltung analog §§ 60 und 61 InsO haftet. Es kommt zu einer umfangreichen Außenhaftung. Er haftet also gegenüber allen Beteiligten, wenn er schuldhaft seine Pflichten verletzt und gegenüber den Massegläubigern, wenn Masseverbindlichkeiten geschaffen wurden, die nicht von der Insolvenzmasse bedient werden können.

Der Ausgangsfall

Der Beklagte wurde im September 2014 als weiterer Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der bereits seit Ende März 2014 insolventen GmbH & Co. KG bestellt. Im Vorfeld war er für die Gesellschaft als Sanierungsexperte tätig gewesen. Der Beklagte und der andere noch vorhandene Geschäftsführer erstellten im Oktober 2014 einen Insolvenzplan, der neben der Befriedigung der Gläubiger und dem Erhalt der Arbeitsplätze eine Fortführung der Schuldnerin ermöglichen sollte. Dem stimmte die Gläubigerversammlung zu.

Im weiteren Verlauf tätigte die Geschäftsführung im Nahmen der Insolvenzschuldnerin eine Bestellung zulasten der Insolvenzmasse bei der späteren Klägerin. Diese konnte die Kaufpreisforderung gegen die Insolvenzschuldnerin jedoch nicht durchsetzen, da letztere zwischenzeitlich ein zweites Mal insolvent ging. Die Klägerin nahm daraufhin den Beklagten direkt auf Ersatz ihres Forderungsausfallschadens von 87.120,49 € in Anspruch.

Die Entscheidung des BGH

Die Frage der Außenhaftung war bis zur Entscheidung durch den BGH stark umstritten. Nachdem die Vorinstanzen den Anspruch mangels Anspruchsgrundlage noch ablehnten, bejahte der BGH einen Anspruch gegen den während der Eigenverwaltung hinzugetretenen Geschäftsführer. Nach ausführlicher Prüfung stellt der BGH zunächst fest, dass kein direkter Anspruch gegeben ist. Er wendet dann jedoch die Vorschriften für die Insolvenzverwalterhaftung (§§ 60, 61 InsO) analog an und bejaht eine Haftung auf dieser Grundlage. Entscheidend für eine Haftung ist der erweiterte und geänderte Pflichtenkreis des GmbH-Geschäftsführers in der Eigenverwaltung. Hierzu führt der BGH aus:

„aa) Die Geschäftsleiter werden nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens nicht mehr allein aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Leitungsmacht tätig, sondern nehmen auch und vor allem insolvenzrechtliche Rechte und Pflichten für die Gesellschaft wahr (vgl. Madaus, KTS 2015, 115, 124). In der Eigenverwaltung üben die Geschäftsleiter gleich einem Insolvenzverwalter frei von Anordnungen der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane (§ 276a Satz 1 InsO) für die Gesellschaft die Verfügungsbefugnis aus (BGH, Urteil vom 9. März 2017 – IX ZR 177/15, WM 2017, 673 Rn. 8). Die Geschäftsleiter entscheiden für den Schuldner über die Erfüllung beiderseits nicht voll ständig abgewickelter Verträge (§ 279 InsO) wie auch über die Ausübung von Sonderkündigungsrechten (§§ 109, 113 InsO) und sind dazu berufen, Gegenstände zu verwerten (§ 282 Abs. 1 Satz 1 InsO), an denen Absonderungsrechte bestehen (Madaus, aaO S. 124 f). Ferner können Geschäftsleiter die Feststellung einer Forderung zur Tabelle kraft ihres Widerspruchs verhindern (§ 283 Abs. 1 Satz 1 InsO) und durch die Insolvenz unterbrochene (§ 240 ZPO) Rechtsstreitigkeiten aufnehmen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006, aaO). Bei der Ausübung ihrer Kompetenzen haben die Geschäftsleiter vorrangig auf die Belange der Gläubiger Bedacht zu nehmen (BT-Drucks. 17/5712, S. 42; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 779; Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; Jacoby in FS Vallender, 2015, 261, 272).“

Mit Blick auf diese Pflichten und Rechte, die der BGH herausgearbeitet hat, erscheint es nicht unangemessen, wenn man den Geschäftsführer in der Eigenverwaltung dem persönlichen Haftungsregime vergleichbar mit dem Insolvenzverwalter unterwirft. Dem entsprechend schlussfolgert der BGH:

„bb) Verantwortet die Geschäftsleitung einer eigenverwalteten Gesellschaft im weiten Umfang Funktionen eines Insolvenzverwalters, muss sie notwendigerweise für etwaige Pflichtverletzungen in diesem Bereich gleich einem Insolvenzverwalter haften.“

Folgen für die Praxis:

Im Interesse der Kunden und Lieferanten von insolventen Unternehmen in der Eigenverwaltung wird diese Entscheidung gerecht. Immerhin gewinnen mit dem Geschäftsführer einen weiteren potenziellen Schuldner, in dessen Vermögen theoretisch vollstreckt werden kann. Wenn statt einer Eigenverwaltung innerhalb eines regulären Insolvenzverfahrens das Unternehmen fortgeführt worden wäre, hätten die Massegläubiger über §§ 60, 61 InsO direkt einen Anspruch gegenüber dem dann verantwortlichen Insolvenzverwalter. Insoweit ist es naheliegend, den wie ein Insolvenzverwalter berechtigten Geschäftsführer in der Eigenverwaltung die Haftung gleich eines Insolvenzverwalters aufzuerlegen.

Dem Erreichen des Ziels, mehr insolvente Unternehmen durch die Eigenverwaltung zu sanieren, könnte diese Entscheidung aber abträglich sein. Es wird immer weniger Geschäftsführer geben, die bereit sind, dieses Haftungsrisiko auf sich zu nehmen. Es wäre fahrlässig als Geschäftsführer, wenn man keine entsprechende Versicherungspolicen abschlösse. Jedenfalls sollte die Übernahme der Geschäftsführung in der Eigenverwaltung gut überlegt und vorbereitet sein.

tl;dr

Der BGH hat mit Urteil vom 26.04.2018 klargestellt, dass die Geschäftsleitung eines insolventen Unternehmens wie ein Insolvenzverwalter Dritten gegenüber haftet. Die §§  60, 61 InsO finden entsprechend Anwendung. Diese zusätzlichen Haftungsgrundlagen sollte man sich bei der Eigenverwaltung gewahr sein.

Eine weitere Zusammenfassung der Entscheidung findet sich hier.